Experten, Angst und Verantwortung für das eigene Leben

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Das Schöne an Experten und Beratern ist, dass sie mit Ihren Erklärungsmustern uns allen die Verantwortung für unser Leben abnehmen. Gleichzeitig machen Sie uns Angst vor allen möglichen Gefahren. Wer traut sich da noch aus dem Haus?

Der Experte warnt vor hohen Geschwindigkeiten, vor E-Rollern, vor E-Bikes, vor dem Coronavirus und vor Stürmen wie Sabine. Ich frage mich manchmal, wie wird man Experte und wo kommen die alle her? Warum wird meine Expertise nicht gefragt? Reicht zur Berufung schon eine abgeschlossene Berufsausbildung oder helfen hier evtl. 20 Jahre Berufserfahrung? Muss man eine Mindestanzahl von Fachbüchern geschrieben haben? Ab wann ist man Experte?

Nehmen wir beispielsweise den Straßenverkehr, von 1998 bis 2018 sind die Unfalltoden von 1114 auf 224 Menschen pro Jahr gesunken. Somit ist der Individual-Verkehr so sicher wie nie, trotz steigender Verkehrsteilnehmerzahlen. Ein Ergebnis von technologischer Entwicklung, klugem Verkehrsfluss-Management und etlichen Radarfallen. Das müsste eigentlich reichen, denk man. Dann aber kommt es zu so einem Einzelfall wie neulich in Südtirol, wo unter Alkoholeinfluss ein schrecklicher Unfall geschah; sieben Tote. Sofort fordern uns Experten auf, langsamer zu fahren, Strafen zu erhöhen. Das bringt die Opfer nicht ins Leben zurück.

Natürlich ist der Unfall unfassbar traurig für alle Betroffenen, doch die umgehend geforderte Atemkontrolle für alle Autofahrer geht weit über das Ziel hinaus. Ich nenne es den schleichenden Verlust der Freiheit. Nur 4,5 % aller Unfälle passieren unter Alkoholeinfluss, schlimm, ja ganz klar, aber sind die Expertenforderungen nicht oft überzogen? Und, schon gemerkt? nach 14 Tagen redet niemand mehr davon. Die Medien treiben eine andere Sau durchs Dorf und der Alarmismus konzentriert sich auf neue Themen.

Vor einigen Jahren waren es die immer beliebter werdenden E -Bikes, die in der Statistik aufploppten und sofort, fast reflexhaft, kam der Ruf nach mehr Sicherheit, bedeutet: Kettenhemd an und mindestens Helm aufsetzen evtl. auch gleich eine Versicherung abschließen, am besten einen extra Führerschein machen. – Redet davon heute noch jemand?

Gleiches gilt für den derzeit aktuellen E-Roller, mal abgesehen davon, dass ihm das Erschaffen des Verkehrschaos angedichtet wird, ist er auch nur ein Gerät mit zwei Rädern. Auch hier ließ der Ruf nach einer Helmpflicht nicht lange auf sich warten. Konsequenterweise müsste man – um alle Risiken auszuschließen – den Helm für alle Lebenslagen fordern. Und selbst dann gäbe es noch jemanden, der sich beim Bohren den Finger in der Nase abricht. Ja, und dann?

All diese Bedenken und Warnungen machen uns jeden Tag ein bisschen ängstlicher, vorsichtiger und bedächtiger. Wie ein Bleiteppich legt sich ein Gefühl der Ängstlichkeit über das Land. Angst ist ein schlechter Berater, wir brauchen hingegen die Wagemutigen, die Macher, die Menschen mit Bereitschaft zu kalkuliertem Risiko und Spitzenleistung. Nur so lässt sich Gesellschaft gestalten. Hätten die Menschen immer nur Angst gehabt und auf die Warnungen von Experten gehört, würden wir heute noch in Höhlen leben.

Es wird Zeit mehr Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, dazu braucht es nicht den Experten. Leben war schon immer Lebensgefährlich (Erich Kästner).

 

Karsten.Nuesken@SoestExtra.info