Was Thüringen mit Soest zu tun hat

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  1. Februar 2020

Was Thüringen mit Soest zu tun hat? Einiges. Die misslungene Ministerpräsidentenwahl in Thüringen zeigt nämlich auf wunderbare Weise das große Verständigungsproblem zwischen Wählern und gewählten Politikern. Fangen wir bei den Politikern an. Parteien geht es – natürlicherweise – immer darum, an die Macht zu gelangen. Deswegen machen Sie Wahlprogramme und stellen Kandidaten auf . Überall dort, wo die eigene Mehrheit in den Parlamenten nicht reicht, müssen dann andere Mehrheiten organisiert werden, die möglichst nahe am mehrheitlichen Wählerwillen sind und die auch möglichst dem eigenen Machtanspruch der Parteien genügen. Dazu wird schon mal taktiert, gekungelt, es werden Deals gemacht. Am Ende geht es darum, wer die politische Richtung in einem Gemeinwesen (Kommune, Land, Bund) vorgibt. – Das Blöde ist nur: diese Machtkämpfe und deren Ergebnisse haben am Ende nichts mit der Lebenswirklichkeit der Bürger zu tun. Und oft auch nicht mit dem mehrheitlichen Wählerwillen. Zwar wird seitens der Parteien immer behauptet, den Wählerwillen umsetzen zu wollen. Wäre dem aber so, müssten in Thüringen wohl die Linke und die AfD eine Koalition bilden. Denn die haben zusammen die meisten Stimmen.

Dem Wähler wiederum geht es aber nicht um Macht, sondern um sein Leben. Da in Deutschland alle Macht vom Volke ausgeht, gibt der Wähler diese Macht im Wahlakt ab an die Volksvertreter. Er vertraut dann darauf, dass seine (des Wählers) Interessen und Ziele verfolgt werden. Das Politikerlebnis des Wählers nach der Wahl ist aber oft ein anderes: Er sieht Wahlversprechen gebrochen, sieht Wahlziele verwässert, gewinnt den Eindruck, dass aufgrund der Verwässerung (man könnte auch sagen: aufgrund des Kompromiss-Strebens und der Sehnsucht nach Konsens in den Reihen der Politik) die Politik „macht, was sie will“. Und in seinem Urteil geht der Wähler noch einen Schritt weiter und gewinnt den Eindruck, dass „die Parteien“ sich in ihrem Handeln ja gar nicht groß unterscheiden und alle zusammen nur ein Interesse haben, nämlich Macht. Richtig ist daran, dass stetiger Interessenausgleich (Kompromiss-Streben) sowie enge rechtliche und finanzielle Rahmenbedingen die Ergebnisse politischen Handelns oft austauschbar machen.

So etwas versteht der Wähler nicht mehr, denn er hat verlernt, dass Demokratie immer dialog- und damit kompromissorientiert sein muss. Seine Anspruchshaltung gegenüber der Politik ist groß; er möchte, dass seine persönlichen Ziele bitte verfolgt werden. Er erkennt aber: die da oben verfolgen meine Ziele nicht. Und er gewinnt den Eindruck: Der Staat funktioniert nicht. Dies erkennt der Wähler daran, dass zum Beispiel Migranten, die eigentlich aus rechtlichen Gründen abgeschoben werden müssten, nicht abgeschoben werden. Der Wähler fragt sich, ob dies richtig sein kann, während er doch als Steuerzahler und als Falschparker von demselben Staat unmissverständlich am Schlaffit gepackt wird. Interessanterweise funktioniert aus Wählersicht hier übrigens in erster Linie die staatliche Verwaltung nicht, wird aber gleichgesetzt mit „der Politik.“

In dieser Situation kommen Populisten um die Ecke und verteufeln die Altparteien bzw. Systemparteien bzw. das politische Establishment. Populisten haben für komplexe Fragen ganz einfache Antworten (sonst wären sie keine Populisten). Damit erwecken sie den Eindruck, sie könnten die vom Wähler schmerzlich vermisste staatliche Ordnung und Berechenbarkeit wiederherstellen. Tatsächlich haben sie auf viele Fragen überhaupt gar keine Antworten (von der AfD ist zum Beispiel noch kein Rentenkonzept zu sehen).

Das alles kümmert den Wähler wenig. Er hat die Nase voll von Machtspielchen und von einem vermeintlich nicht funktionierenden Staat. Er will gehört und verstanden werden und er sehnt sich nach Gerechtigkeit und Ordnung. So wendet er sich an die Kräfte, die ihm versprechen, alles in Ordnung zu bringen. Und sei es aus Protest, Wut, Ungeduld und Ignoranz gegenüber dem Phänomen Demokratie.

Was bedeutet das nun für die demokratischen Altparteien? Antwort: Zuhören. Nicht rumeiern. Geduldig erklären. Konsequent umsetzen. Standpunkte und Haltung bewahren. Nachvollziehbar bleiben im Handeln. Nicht die Behörden im Regen stehen lassen. Nicht die eigene politische Verantwortung über Volksentscheide an die Wähler zurückdelegieren.

Gilt für Politiker in Stadt und Land und Bund.

Ewald.Pruente@SoestExtra.info